Die §§ 139 FamFG, § 170 GVG, § 203, 353 d StGB verbieten die Übersendung von prozessvorbereitenden Schriftsätzen aus nicht öffentlichen Verfahren an nicht Beteiligte. Auch die DS-GVO bietet hierfür keinerlei Befugnis.
Titel:
Keine Beteiligtenstellung des Ergänzungspflegers in Verfahren der elterlichen Sorge
OLG Bamberg, Beschluss v. 11.03.2024 – 2 UF 37/24 e
Normenketten:
FamFG § 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 59 Abs. 1, § 162 Abs. 2, SGB VIII § 55, BGB § 1666
Leitsätze:
1. Durch die Anordnung der Ergänzungspflegschaft wird das Jugendamt ebenso wie durch deren Ablehnung nicht in eigenen Rechten betroffen. Das Jugendamt ist daher in diesen Verfahren kein Beteiligter iSv § 7 Abs. 2 FamFG. (Rn. 3 – 5)
2. Eine förmliche Beteiligung eines mit der Führung der Ergänzungspflegschaft (oder Vormundschaft) gem. § 55 SGB VIII Beauftragten in eigener Person – also unabhängig vom bestellten Ergänzungspfleger (oder Vormund) – in einem Kindschaftsverfahren der elterlichen Sorge kommt nicht in Betracht. (Rn. 7)
1. Ein Ergänzungspfleger, der in einem Verfahren der elterlichen Sorge vom Gericht beauftragt wurde, ist in dem Beschwerdeverfahren, mit dem die Eltern jeweils den Teilentzug ihrer Rechte anfechten, kein Beteiligter iSv § 7 Abs. 2 FamFG, weil er nicht in eigenen Rechten verletzt ist. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. In einem Kindschaftsverfahren der elterlichen Sorge kommt eine förmliche Beteiligung eines mit der Führung der Ergänzungspflegschaft (oder Vormundschaft) gem. § 55 SGB VIII Beauftragten in eigener Person – also unabhängig vom bestellten Ergänzungspfleger (oder Vormund) – nicht in Betracht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(keine) Beteiligtenstellung des Ergänzungspflegers in Verfahren der elterlichen Sorge gem. § 1666 BGB, Teilentzug elterlicher Sorge, Kindschaftsverfahren, Beteiligtenstellung, Ergänzungspflegschaft
Vorinstanz:
AG Obernburg, Beschluss vom 16.01.2024 – 1 F 487/23
Fundstellen:
RPfleger 2024, 330; FamRZ 2024, 1049; BeckRS 2024, 4763; NJW-RR 2024, 814; LSK 2024, 4763
Es erlässt gem. § 7 (5) FamFG einen Beschluss v. 11.03.2024 – 2 UF 37/24 e
Tenor
Der Antrag des Ergänzungspflegers auf Hinzuziehung als Beteiligter wird zurückgewiesen.
Gründe
Rn. 1 Mit Beschluss vom 16.01.2024, berichtigt durch Beschluss vom 17.01.2024, hat das Familiengericht der Kindsmutter und dem Kindsvater Teilbereiche der elterlichen Sorge entzogen, Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Landratsamt … – Amt für Jugend und Familie – zum Ergänzungspfleger unter Übertragung der entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge bestimmt. Sowohl Kindsmutter als auch Kindsvater wenden sich mit jeweils eingelegter Beschwerde gegen den Teilentzug ihrer Rechte.
Rn. 2 Mit Schreiben vom 8.03.2024 begehrt die mit der Führung der Ergänzungspflegschaft beauftragte Mitarbeiterin des Jugendamtes beim Landratsamt … die Beiziehung als Verfahrensbeteiligte und zwar in eigener Person und „unabhängig vom Jugendamt“.
Rn. 3 Der Antrag auf Hinzuziehung als Beteiligter ist gem. § 7 Abs. 5 S. 1 FamFG zurückzuweisen, da der Ergänzungspfleger in dem hier anhängigen Verfahren kein Beteiligter iSv § 7 Abs. 2 FamFG ist.
Rn. 4 Nachdem ein Fall des § 7 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ersichtlich nicht vorliegt, da das Jugendamt … insoweit nicht in seiner Funktion als Jugendamt tätig wird, in der es nach § 162 Abs. 2 FamFG zu beteiligen wäre, sondern als Ergänzungspfleger und damit in der Funktion als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen im Umfang seiner Bestellung, kommt es für seine Beteiligtenstellung darauf an, ob sein Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).
Rn. 5 Dafür wird an den materiellen Beteiligtenbegriff angeknüpft, sodass die Voraussetzungen inhaltlich den Voraussetzungen für die Beschwerdeberechtigung in § 59 Abs. 1 FamFG entsprechen. Es müsste der Entscheidungssatz des angefochtenen Beschlusses unmittelbar in ein dem Ergänzungspfleger zustehendes Recht eingreifen, was vorliegend jedoch nicht der Fall ist. Denn durch die Anordnung der Ergänzungspflegschaft wird das Jugendamt ebenso wie durch deren Ablehnung nicht in eigenen Rechten betroffen. Aus der Anordnung der Ergänzungspflegschaft ergeben sich für das Jugendamt für sich genommen noch keine Rechtswirkungen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2011 – XII ZB 293/11 –, juris; Beschluss vom 28. September 2016 – XII ZB 251/16 –, juris).
Rn. 6 Ungeachtet dessen ist weiterhin das Jugendamt … als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen zu führen (nunmehr unter dem mitgeteilten Aktenzeichen …), da die den Antrag zeichnende Mitarbeiterin lediglich aufgrund einer behördeninternen Zuweisung (§ 55 Abs. 2 SGB VIII) die Aufgaben des Pflegers ausübt, das Jugendamt aber selbst Vormund/Ergänzungspfleger und gesetzlicher Vertreter bleibt (Schulte-Bunert in: Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 1774 BGB, Rn. 6).
Rn. 7 Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Vorstehenden eine förmliche Beteiligung eines mit der Führung der Ergänzungspflegschaft (oder Vormundschaft) gem. § 55 SGB VIII Beauftragten in eigener Person – also unabhängig vom bestellten Ergänzungspfleger (oder Vormund) – in einem Kindschaftsverfahren der elterlichen Sorge von vornherein nicht in Betracht kommt.
Rn. 8 Hiervon zu trennen ist schließlich der Umstand, dass der Ergänzungspfleger (oder Vormund) seine Aufgaben als gesetzlicher Vertreter des Kindes in Abgrenzung zu den (allg.) Aufgaben des Jugendamtes im Verfahren wahrzunehmen hat.
Rn. 9 Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. §§ 7 Abs. 5 S. 2 FamFG, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Peinlichkeiten deutscher Rechtsanwendung zur Beteiligtenstellung im Familienrecht.
Wie der BGH u.a. in seinem Beschluss vom 28. September 2016 – XII ZB 251/16 ausführt, wäre z.B. der Amtsvormund ein sogenannter Muss-Beteiligter gem. § 7 (2) Nr. 1 FamFG. In Rn 14 heißt es hierzu:
Die Hinzuziehung eines Beteiligten kann auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen (Senatsbeschluss vom 9. April 2014 XII ZB 595/13 FamRZ 2014, 1099 Rn. 11).
Gern verweist der BGH auf seine eigene Rechtsprechung, ohne zu berücksichtigen, dass diese überhaupt keine gesetzliche Bindungswirkung inne hat noch zutreffend wäre. Aber was war passiert? Hat der BGH übersehen, dass gegenüber jedem Beteiligten die Prozessstandschaft grundsätzlich klargestellt und transparent werden muss, ebenso welche Rechte geltend gemacht werden? Hat er nach dem Inkrafttreten der DS-GVO auch übersehen, dass die – eine Hinzuziehung auslösende – Übermittlung von Schriftstücken dann auch befugt erfolgen muss?
Eine „konkludente Beteiligung“ bedeutet in dem Fall, dass allein die Übersendung z.B. eines anwaltlichen Schriftsatzes vom Gericht an das Jugendamt ohne weitere Info gegenüber den Eltern die Prozessstandschaft des Jugendamtes ändern würde. Wie informiert und transparent ist das denn? Eine derartige Rechtsanwendung heimlicher Beteiligung sieht das Gesetz über die Hinzuziehung von Beteiligten an keiner Stelle vor. Auch fehlt der höchstrichterlichen Rechtsverschwendung jede Prüfung auf die Voraussetzungen des § 7 (2) Nr. 1 FamFG.
Damit würde die vom BGH entwickelte „konkludente Beteiligung“ erst auf einer strafbaren Offenlegung personenbezogener Daten beruhen.